JELLYSPOOR - Ein Künsterkollektiv aus Köln gibt Raum, Zeit und Körper eine Sprache

 

Ein wunderbares Beispiel für 

Performance-Art; 

21.07.2018 

Mainz,Walpodenakademie

von der

Künstlergemeinschaft 

JELLYSPOOR aus Köln 

 

Link: https://jellyspoor.wordpress.com/

Zwei Menschen – oder waren es bewegliche Skulpturen aus Plastik - traten in einem engen Raum in Beziehung zueinander. Öffentlich einsehbar – quasi als Ware dargeboten in einem Schaufenster - kreierte das Künstler-Duo JELLYSPOOR eine Landschaft aus bunten horizontal angeordneten Plastikbahnen. Eine rote Kugel musste wie ein Himmelsgestirn in einer künstlichen Landschaft angeordnet werden. Das Zusammenwirken klappte mal gut und mal weniger gut. Der absurde und sinnfreie Teil des Lebens immer im Blick.

William Kentride hat in einem Interview einmal gesagt (in Anbetracht seines Hauptwerkes "the refusal of time"): Wir leben unser Leben als hätte es eine Bedeutung und damit verleugnen wir Zeit - das ist die Entfremdung in unserer Gegenwart.

JELLYSPOOR brachten diesbezüglich in ihrer Performance wunderbare Bilder zum Vorschein, wie schon so oft in ihrem künstlerischen Schaffen. Seit 2013 agieren Evamarie Schaller und Andreas Gehlen als Künstlerkollektiv. Sie verschmelzen filmisch/performativ Raumforschung und installativ-malerische Bildhauerei zu einer unverwechselbaren eigenen Sprache.

Ihre Projekte sind Versuchsanordnungen, somit stehen sie ganz klassisch in der Tradition der Performance-Art.

Interessant finde ich den von ihnen mit gestalteten Begriff „Stadtbesetzung“ (Urban Art Projekt Kultursekretariat NRW, Stadt Gütersloh 2017, diverse Akteure). In meiner Kolumne zur Performance habe ich ja von einer Überregulierung gesprochen, die auf vielen gesellschaftlichen Ebenen menschliches Handeln mittlerweile stark einschränken. Oft zwar getrieben aus einem Schutzbedürfnis heraus - führt es jedoch insbesondere in der Kunst zur Stilllegung von Möglichkeiten künstlerischen Ausdruckes. Hier gilt es tätig zu werden. Viele stellen eine Entwicklung fest, dass die kasernierte Kunst kaum noch Menschen erreicht. Wie auch, wenn die Hürden zu hoch gesetzt werden (und damit meine ich nicht nur die Eintrittspreise der Kunsttempeleinrichtungen).

Selbst das Centre Pompidou in Paris erkennt mittlerweile das man zu den Menschen gehen muss, wenn Kunst noch eine Rolle spielen soll. Hier kann Performance-Art Türen öffnen. Straßentheater, offene Galerien, Street-Art, Straßenmusik etc. sollten die Stadt wieder vermehrt legal besetzen dürfen. Und hier setzt JELLYSPOOR ein deutliches Zeichen. 


Werkbesprechung 

Nibelungen-Zyklus; Künstler snabul (Andreas Schnabel) Alzey - Atelier Rotes Haus

Wer es einfach will, steht hier auf verlorenem Posten

Die Nibelungen - kaum ein Junge aus der rheinhessischen Stadt Alzey kommt an dieser Geschichte vorbei – so auch ich nicht. Schon in der frühen Jugend waren die Taten von Siegfried und Co Bestandteil meiner kindhaften Abenteuer zwischen Rüben und Reben der weitern Hügellandschaft Rheinhessens. Stand man dann vor dem Eingangstor des ehrwürdigen alten Doms zu Worms gingen die Fantasien weit hinauf in den Olymp – nein korrekt gesagt zogen diese ein in Walhall. 


 "Uns ist in alten maeren wunders vil geseit" - so beginnt die berühmteste Dichtung deutschsprachiger Heldenepik des Mittelalters.  Dabei greift das Stück auf uralte Texte aus dem 5. und 6. Jahrhundert zurück und erzählt in knapp 10 000 Versen und 38 Aventiuren von Liebe, Treue, Rache und Tod. Eindrucksvoll ist hierbei die archaische Sprache und die üppigen Schilderungen der Pracht des höfischen Lebens, der zahlreichen Schlachten und Kämpfe. Wiederentdeckt im 18. Jahrhundert durch den Schweizer Literaturprofessor Johann Jakob Bodmer avancierte es dann zum vielfach gefeierten aber zu oft ideologisch verklärten "Nationalepos der Deutschen".

 

Die umfänglichste Theaterfassung vollzog Hebbel um 1850. Mich zog eine Schulausgabe aus dem Jahre 1914 von Dr. Gustav Legerlotz in ihren Bann. Dieses alte Büchlein vom Velhagen und Klaling Verlag fand ich in einer Dachbodenritze meines alten Elternhauses. Erbaut  im Jahre 1920 vom örtlichen Schullehrer, der diese Ausgabe wohl vielseitig im Schulunterricht eingesetzt hatte. Hiervon zeugen heute noch die vielen handschriftlichen Bemerkungen auf den merklich vergilbten Seiten. Als Überschrift ist zu lesen:  Das Nibelungenlied im Auszuge  - wobei das Inhaltsverzeichnis mit Vierundzwanzig Abenteuer viele Textzeilen aufweisen kann. Aber ich denke, das ist immanent, wenn man sich mit dem Nibelungenlied beschäftigt. Wer Komplexität sucht, wird hier auf jeden Fall auf seine Kosten kommen.

Dies Bewahrheitete sich nun auch in der Werkschau des Nibelungen-Zyklusses des Alzeyer Kunstschaffenden Andreas Schnabel (snabul), der nach eigenem Bekunden seit 20 Jahren an seinem Bildwerk zum Nibelungenlied arbeitet.

Auch er wurde recht früh vereinnahmt von den Urgewalten dieses Textes. Nur kam er aus der Ecke der musikalischen Herangehensweise. 1970 sah er eine Inszenierung aus Bayreuth, seitdem ist das Ränkespiel fest in seinem Kopf verankert – unter anderem auch die zentrale Frage: Was sind Helden? Wer ist gut? Wer ist Böse?

 

Auch seine erste Bilddarstellung trägt dieser Frage Rechnung – wie auch entsprechende Antworten darauf. Hier heißt es: Lest Schiller, lest „die Räuber“ beschäftigt euch mit „Wilhelm Tell".

Aktuell sind bereits mehr als 200 Bildcollagen entstanden. Das erklärte Ziel des Künstlers ist die Textstellen des Liedes wortwörtlich abzubilden. Wie viele Einzelwerke wohl bei dieser Beschäftigung entstehen werden, ist noch völlig unklar. Klar ist jedoch das alle Textpassagen wortwörtlich und in Mittelhochdeutsch den jeweiligen Einzelwerken einen literarischen Ausgangspunkt setzen.

Im Rahmen der Werkschau betrachteten wir hierbei – neben der Eröffnungsszene - insbesondere auch eine Collage, die sich mit dem Final-Thema auseinandersetzt. Nach Aussagen des Künstlers die Schlüsselszene des Nibelungenliedes. In meiner Schulausgabe heißt es:

"Des Todes Ingesinde, nun lag es Leib an Leib; zu Stücken auch zerhauen lag das edle Weib".


Krimhild übt Rache. Aus Sicht des Künstlers ist Kriemhild das eigentliche Opfer dieses Rängespiels. Die Helden sind eigentlich nicht gut  - insbesondere auch nicht Siegfried. Seine Heldentaten sind eher Schandtaten. Schon als Kind hat Andreas Schnabel Siegfried und Co  nicht als Helden gesehen. So beginnt auch seine erste Collage mit dem Text:

Von lobesamen Helden und heißem Kampf und Streit oder im Mittelhochdeutschen:

von heleden lobebæren, von grôzer arebeit

 

Schnabel interpretiert dies jedoch als puren Sarkasmus. Auf der Collage ist in Ergänzung zu lesen:  Es ist Krieg, mit der Anschlussfrage: Wer macht eigentlich den Krieg. Ein weiterer Text rät zur Flucht! Auch bei Schillers Werken „Die Räuber“ und „Wilhelm Tell“ sei viel Heimtückisches und Unehrliches festzustellen. Aus Sicht des Künstlers fällt es nicht leicht in diesem Kontext von Helden zu sprechen.

Diese Widersprüche und diese Zerrissenheit in den Texten geben auch den Bildcollagen von Schnabel entsprechende Dringlichkeit. Wer hier einfache Botschaften sucht, schaut vergeblich. Komplexität überall – alles ist vielschichtig. Vielleicht wirkt dies für heutige Betrachtungen, wie aus der Zeit gefallen. Wo doch eine große Sehnsucht nach Vereinfachung das Zeitgeschehen bestimmt.

Zeit genug sich nun mit der Technik und der Herangehensweise des Künstlers zu beschäftigen: Seine Werke bezeichnet der Künstler selbst gerne als surrealistische Collagen. Und diese Bezeichnung trifft es auch ganz gut, denn das Surreale verändert immer den Kontext – so auch die Collagen von Andreas Schnabel. Im Entstehungsprozess wird dieses besonders deutlich: Es beginnt immer mit vielen Zulieferungsstellen, wie  z. B. mit einem Werkstück der eigenen Tochter.

Grundsätzlich hat der Künstler nie wirklich einen Einfluss darauf, wie der Arbeitsprozess startet. Das Ergebnis ist immer ein Zufallsprodukt, so Andreas Schnabel. Die Zusammenstellung der Collage folgt jedoch dabei immer nach festen Regeln:

Alles beginnt mit einer Briefmarke aus der Sammlung eines Freundes. Darauf folgt ein Aufkleber oder ein Stick aus der familieneigenen Sammlung. Auf jeden Fall muss ein Bild von Horst Rößler eine Verwendung finden. Horst Rößler, ein Autor und namhafter Biker, hat 2001 das Biker-Bildband  „Wild: Harley Bikes and Babes“ herausgegeben und stellt mit seinen Fotografien einen direkten Bezug zu den Helden aus der Nibelungensage her.

Die im Zyklus dann aktuell anstehende Textpassage wird anschließend mit einem Holzstempelset auf die Collagearbeit gedruckt. Hierbei verwendet Schnabel drei gezielt ausgewählte Schrifttypen. Das bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Zwischenwerk wird letztendlich im Computer eingescannt und digital weiterverarbeitet.

An diesem Punkt beginnt der Reflexionsprozess: Was sehe ich? Welcher Bezug kann hergestellt werden? Und die Themen, die in diesem kreativen Prozess aufgegriffen werden können, sind so vielfältig, wie die Sage selbst. Kommentare entstehen, Schlagwörter reizen zu Anschlussfragen. Farben und Codes finden ihre Verwendung. In unserem Anschauungsobjekt findet sich der Kommentar: Es ist Krieg, es folgt die Anschlussfrage: Wer macht Krieg? Dies verleitet zum Wortspiel Wehrmacht. Übertragen auf den passenden Farbcode bedeutet dies „Nahkampf-Grün“ und „Wehrmachts Grau“.

Symbole gelangen nun zum Einsatz. Schnabel hat für seinen Nibelungenzyklus eine eigene Symbolsprache entwickelt, wie z. B. eine Sonnenscheibe, die ebenfalls auf der näher besprochenen Collage zu sehen ist. Die Sonnenscheibe steht für das Göttliche – Gott gibt nach Aussage des Künstlers die Möglichkeit zum Handeln. Gott regelt hierbei jedoch nichts. Es herrscht eine große Freiheit, dies verlangt jedoch nach einer Übernahme von wirkungsmächtiger Verantwortung. Auch die Nibelungen folgen einem imaginären Ehrenkodex, aber die Geschichte zeigt, es hält sich keiner daran. Zum Abschluss wird die Collage auf DIN A1 gedruckt.

 

Wenn sie einmal die Möglichkeit haben eine Collage von Andreas Schnabel näher zu betrachten, dann empfiehlt Ihn der Künstler folgende drei Betrachtungsebenen:

Von Weitem – hierbei soll das Bild immer interessant wirken; aus der Nähe - hier beginnt die Beschäftigung mit Detail, Text und Objekt; auf der Mikroebene - im Kleingedruckten liegt oft etwas wichtiges – wie z. B. Details auf der verwendeten Briefmarke. Der Bildaufbau gibt hierbei die Bewegung der Blickrichtung vor.

Und? - habe ich ihnen zu viel versprochen, ich denke nein, wer Einfachheit sucht, ist hier fehl am Platze. Hier empfiehlt Andreas Schnabel folgende Werkcollagen: das „Trampeltier im weißen Haus“  - aktuell in der Alzeyer Innenstadt zu sehen, oder „der Fisch im Glas“.

 

 Wer sich mit den Nibelungen weiter beschäftigen will, kann gerne ins Mainzer Staatstheater gehen. Hier wird das Stück von Friedrich Hebbel in einer Inszenierung von Jan C. Gockel aufgeführt - Termine ab 28.04.2018

Die Nibelungen im Staatstheater Mainz:  http://www.staatstheater-mainz.com/