Meinungen, Standpunkte

Warum noch eine Kolumne, reicht ein Blog nicht aus?

Nein finde ich, Blog-Einträge können witzig, ironisch und auch informativ sein, aber die Texte sind oft (nur) kurze Reaktionen auf das was passiert oder zum Teil auch (nur) Hinweise auf etwas was genau an diesem Tag passiert ist. In Kolumnen dagegen passiert mehr. Andrea Paluch hat es einmal passend gesagt: "Eine Kolumne ... folgt einem Gedanken auf seinen Wegen und Umwegen, aber immer in der Bescheidenheit, das der Eintrag keine Nachricht ist. Zu einer Kolumne passt ganz gut eine warme Tasse in der Hand und vielleicht der Geruch von Brötchen". Dem kann ich mich nur anschließen.


Performance - oder was?

Wir alle (die Kunst machen?) - performen

Ein Standpunkt von 

Michael Klotzki

Performance ist der englische Begriff für Durchführung, Aufführung, Darstellung, Leistung). Uns kann dieser Begriff in unterschiedlicher Weise begegnen. Als Performanz, das Leistungsverhalten von Soft- und Hardware in der Informatik als Rechenleistung ausdrückt oder als Maße für das Risiko-Ertrags-Verhältnis einer Kapitalanlage und letztendlich aber auch als Kunstform die sich als kreativer Prozess in Aktion versteht.

 

In den letzten Tagen ist das Thema Performance-Art für mich sehr präsent, da ich noch stark durch meine Teilnahme an der diesjährigen internationalen Summer Academy Venice geprägt bin. Zwei Wochen durfte ich mich mit Teilnehmern aus aller Welt mit den Themen Sculpture, Performance-Art, Dance sowie New Media Art beschäftigen. Und was alle Disziplinen miteinander verband, war der künstlerische Ausdruck einer Performance-Art.

 

Ist denn nun alles irgendwie "Performance" fragte ich mich.

 

Nicht das sie mich falsch verstehen – die Wurzeln meiner kreativen Arbeit liegen im Theater und hier insbesondere im Straßentheater der 80 Jahre.

Schon immer verbanden sich im Theater verschiedene Künste miteinander, sei es in der Bühnenausstattung, dem Bühnenbild, den Kostümen, den Masken usw., sei es im Theaterwerk selbst, das oft gleichermaßen Tanz-, Sprach- und Musikelemente enthielt. Grundsätzlich unterscheidet man ja drei Sparten im Theater: Musiktheater, Tanztheater (Ballett, Pantomime, Ausdruckstanz) und Sprechtheater (Schauspiel), wobei jedoch insbesondere das Tanz- und das Musiktheater Elemente der anderen Disziplinen aufweisen.

Als ich in den 80 Jahren auf die Straße ging, war z. B. der polnische Regisseur und Theatertheoretiker Jerzy Grotowski und sein „armes Theater“ wiederentdeckt. Viele befassten sich mit dem „Theater der Unterdrückten“ nach Augusto Boal und praktizierten das von ihm entwickelte „unsichtbare Theater“. Gleichzeitig griffen die Straßentheaterkünstler vermehrt auf das Figurenarsenal und die Spielformen der italienischen Commedia dell’arte zurück, was dazu führte, dass Jonglieren, Zirkus- und Zauberkünste Eingang in die theatergeschichtliche Entwicklung fand, und beim Publikum mehr Zuspruch, wie sich in den Fußgängerzonen mehr und mehr bemerkbar machte. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Straßenaktion in der Augustinerstraße in Mainz – ein Jahr nach Tschernobyl - wo wir als Gruppe stumm und in einem Block verlangsamt den damals schon hektischen Treiben der Stadt einen Gegenpart entgegensetzen.

Auch der Narr, Clown oder „Fool“ als provozierende Figur und Rolle wurde wieder populär, geprägt vor allem durch Jango Edwards, ob solo oder mit der Friends Roadshow, sowie durch Natias Neutert und Dario Fo mit ihrer entfesselten Form komödiantischen Ein-Mensch-Theater. Eine gute Freundin und ich zogen seinerzeit als August und Augustine durch die Straßen.

Mittlerweile scheint das Straßentheater durch Überregulierung in ein Festivalkorsett gezwängt worden zu sein. Aber schön das es diese Ausdrucksform noch gibt, so aktuell auch wieder in Berlin – dort läuft zurzeit das internationale Straßentheaterfestival: Berlin lacht!

Aber wieder zurück zu Performance.

Wie Elisabeth Jappe in „Performance, Ritual, Prozess“ schreibt, ist Performance einerseits Prozesskunst, die sich aus Action Painting und Happening entwickelte. Andererseits steht die Kunstform in Beziehung zum Ritual als einem grundlegenden Element menschlicher Kultur. Während Rituale jedoch durch möglichst unveränderte Wiederholung gekennzeichnet sind, war eines der prozessorientierten Elemente von Performance, dass sie nie wieder so ausgeführt werden sollte wie zuvor.

Performance kann somit als eine situationsbezogene, handlungsbetonte und vergängliche künstlerische Darbietungsform bezeichnet werden. Die Kunstform hinterfragt die Trennbarkeit von Künstler und Werk sowie die Warenform traditioneller Kunstwerke.

In den 1960er Jahren wurde, zunächst in den USA, der Begriff „Performance Art“ zu einer Sammelbezeichnung für künstlerisches Geschehen, das den üblichen Kontext der „Performing Arts“ (Darstellenden Künste) und der „Visual Arts“ (Bildenden Künste) sprengte: Happenings, „Live Events“, Fluxuskonzerte, Straßenaktionen und Demonstrationen als öffentliches künstlerisches Ereignis. Beeinflusst durch Antonin Artaud, Dada und Konzeptkunst wurde „Performance Art“ um 1970 in den USA von Künstlern wie Allan Kaprow verstärkt als Antithese zu Theater formuliert und zunehmend als konzeptuell eigenständige Kunstform verstanden. In „Performance Art“ dieses Typs sollte ein künstlerisches Ereignis nie in der gleichen Weise wiederholt werden und nie die Struktur eines Stückes darstellender Kunst haben.

Und hier setzt nun wieder die genaue Trennung der inhaltlichen Bezeichnungen an. Theoretiker und Künstler unterscheiden Performance, die sich aus Konzepten der bildenden Kunst entwickelt hat, von Formen, die aus den darstellenden Künsten kommen, wie Theaterperformance, Musikperformance, Literaturperformance. Eine Performance im Sinne bildender Kunst ist nicht Drama und nicht wie eine Theateraufführung vorstrukturiert. Sie ist ein offener künstlerischer Prozess in eigener Zeit, der als unmittelbare körperliche Handlung und Präsenz abläuft, und dessen Medium der Performancekünstler selbst ist. Es wird keine theatralische Rolle gespielt, sondern der nicht austauschbare Performer durchlebt das Präsentierte im Augenblick des Entstehens künstlerisch zum ersten Mal. In den darstellenden Künsten dagegen tritt der Mime hinter der Rolle zurück, die er in einem Stück spielt, so wie im klassischen Ballett der Tänzer hinter der Figur zurücktritt, die er in einer Choreografie tanzt.

Performance ist häufig ortsgebunden, kann jedoch überall, zu jeder Zeit und ohne zeitliche Begrenzung stattfinden. Dabei kommen vier Grundelemente ins Spiel: Zeit, Raum, der Körper des Künstlers und eine Beziehung zwischen dem Künstler und dem Zuschauer.

Gerade der letzte Satz erinnert mich an ein Interview meines Dozenten aus der Summer Academy, Jay Pather, der im Rahmen einer Podiumsdiskussion gesagt hat, das Performancekünstler die Stadt nicht nur als bloße Kulisse nutzen sollen. Sobald aber der Performancekünstler nicht nur die (Theater) Darbietung in den öffentlichen Raum verlegt, sondern auch unterschiedliche Zuschauergruppen anspricht und diese in die Aufführung integriert, kann dies sehr spannende und bewegende Momente erzeugen.

Im Zentrum unserer gemeinsamen Arbeit in Venedig stand interessanterweise die Darstellungsform des Tanzes. Ich fand es spannend, wie die Teilnehmer aus den unterschiedlichen Fachrichtungen genau dies erfuhren: ... das Performer den Augenblick durchleben und letztendlich keiner ausgefeilten Dramaturgie oder Choreografie folgen. Am Ende stand jedoch auch für uns ein Werk zur Thematik "Zeit" das all unser Können und Aufmerksamkeit forderte.

 

Die Geschichte der Performance zeigt auf: wir alle performen wenn wir uns darauf einlassen (Quelle Auszug aus Wikipedia):

In den 1960ern und 1970ern waren Happening- und Performancekünstler wie Robert Whitmanm, daran interessiert, Abgrenzungen zwischen Kunstsparten und zwischen Kunst und Wissenschaft zu überwinden, als sie festzuschreiben.

In den 1960er Jahren entstanden aktionistische Arbeitsformen, in denen Anteile von Happening, Theater, Body-Art und späterer Performance erkennbar wurden. Die Wiener Aktionisten nehmen Elemente von Performance teils vorweg, ihre Arbeiten werden kunsthistorisch jedoch nicht als typische Performances im engeren Sinn betrachtet.

Gilbert & George wurden bekannt als „The Singing Sculpture“ (1970): Sie standen mit Goldfarbe bemalt auf einem Tisch oder Sockel, ließen das Lied „Underneath the Arches“ ablaufen und posierten mimisch oft für Stunden dazu. Viele andere Arbeiten führten Gilbert & George mit ausdruckslosem Gesicht in zusammenpassenden Geschäftsanzügen aus. Sie lehnen es ab, ihre Aktionskunst von ihrem alltäglichen Leben zu trennen und definieren ihre gesamte Aktivität und sich selbst als lebende Skulptur („living sculpture“).

Joan Jonas brachte zwischen 1972 und 1976 das Medium Video in Dialog mit Performance. Für Bruce Nauman sind „Handeln“ und „Darstellen“ wie im englischen „to act“ eine Einheit. Er beschäftigte sich mit Routinen und Gewohnheiten, wie dem Auf- und Abgehen oder einer Handbewegung, die durch Wiederholung zu Performance mit theatralischem Charakter werden.  Zu bewundern auch in Venedig im Museum Punta Della Dogana.

Andere Erweiterungen der Kunstrichtung gab es durch Marina Abramovic, Vito Acconci und Timm Ulrichs. Marina Abramovic bezieht in der Performance „Rhythm 10“ von 1973 die Verletzung ihres Körpers konzeptuell ein. Aktuell ist eine Schau zu ihrem Werk  in der Kunsthalle in Bonn zu sehen

1984 in Chicago begann der amerikanische Performance-Poet Marc Kelly Smith mit Poetry Slam, eine Darbietungsform die aktuell wieder bei jungen Leuten sehr populär ist.  

Stelarc setzte sich ab 1970 in Performances mit dem Verhältnis Mensch und Maschine auseinander. Mark Paulines Survival Research Lab begann 1978 damit, Maschinen als Performer auftreten zu lassen.

Eine Verbindung zwischen Performance Kunst und Musikperformance entwickelte Laurie Anderson: Als klassisch ausgebildete Geigerin begann sie ihre Fähigkeiten 1974 in ‚Dusts on Ice‘ einzusetzen, einem Freiluftstück, in dem ihr Spiel von Tonbandmusik begleitet wurde, während sie in Schlittschuhen auf einem schmelzenden Eisblock stand.

Seit den Fotoperformances von Yves Klein und Rudolf Schwarzkogler, und den Videoperformances von Joan Jonas ist Performance ein vitaler Bereich auch der Medienkunst.  Performance, die das Medium Video oder andere Medien als Bühne begreift, ist bis heute eine vitale Kunstform, etwa in den Videoperformances von Alex Bag und Alex McQuilkin. Im Sinne medialer Kunst entwickelt Performance und Aktionskunst im Bereich Neuen Medien und Digitale Kunst neue Formen, wie etwa medienübergreifende komplexe Aktionen, Aktionen im Internet und Performances in und mit virtuellen Welten.

Während der Retrospektive ihrer Arbeiten 2010 im Museum of Modern Art (MoMa) saß Marina Abramovic während der Öffnungszeit für ihre stille Performance „The Artist is Present“ („Die Künstlerin ist anwesend“) insgesamt 721 Stunden im Lichthof des Museums an einem Tisch. Zuschauer konnten einzeln ihr gegenüber am Tisch Platz nehmen. Ein Teil der Retrospektive waren Wiederholungen ihrer eigenen Performances durch sogenannte Reperformer.

 

 

Und der letzte Begriff knüpft auch wieder direkt an meine Erlebnisse in der Summer Academy in Venedig an: Repeat

 

 

 

In der ersten Woche – in der Meisterklasse „Sculpture“ mit dem wunderbaren Dozenten Andrzej Welminski führten wir unsere Skulpturen in Form einer Performance Art Darbietung zu einer Einheit zusammen.

 

Repeat – die Wiederholung war eine zentrale Ausdrucksform die ich z. B. in Form von zwei Repeat-Maschinen mechanisch umsetze. Ich selbst war „ReMan“ und fand mich in einer Installation „Repeat After me“ der Züricher Künstlerin Marianne Mettler in einer Kombination aus Video und Skulptur wieder. Wir alle performen – aus unseren Bezugspunkten heraus – hierbei offen für Andere bzw. für Anderes dann entsteht ein künstlerischer Moment – Beliebigkeit kurzum ausgeschlossen.

 

 

Ein gutes Beispiel für Performance-Art fand am 21.07.2018 in Mainz statt. JELLYSPOOR war zu Gast in der Walpodenakademie Mainz. Nähere Infos unter 


„Kunst und Entwicklungshilfe – Kunstgenuss mit schlechtem Gewissen?“

Ein Standpunkt von 

Michael Klotzki

Was bedeutet es, sich mit der Welt zu beschäftigen? Was birgt die Erfahrung eines Tages in sich, wenn man engagiert in die Welt schaut? 

Engagement wird allgemein als persönlicher Einsatz aus weltanschaulicher Verbundenheit erklärt. Der Duden setzt noch das Gefühl des Verpflichtetseins als Bedeutung hinzu.

Welche Bedeutung hat es nun für uns. Findet die Beschäftigung nur im Kreis eigener Bedürfniserfüllung statt - oder ist da mehr? Auch innerhalb der Kunst stellt sich diese Frage. Festzustellen ist, dass das Thema „Engagement“ in vielfältigen Facetten oft im Kunstschaffen verankert ist. Sei es als „Spürhund“ von Not, Irritationen und Ungerechtigkeiten oder auch als Brennpunkt von aktuell herrschenden Realitäten.

Hier folgt unvermeidlich die Anschlussfrage: Folgt die Kunst nur einem Bildungsauftrag oder entfaltet das künstlerische Schaffen auch die Urgewalt eines inhaltlichen Wandels? Viele Künstler, denen ich in der letzten Zeit begegnet bin, öffnen ihre Kunst auch immer mehr konkreten Entwicklungsprojekten.

In der Entwicklungshilfe ist als Leuchtturm aus Deutschland mittlerweile u.a. der junge Künstler Leon Löwentraut zu nennen. Wie er selbst auf seiner Facebook Seite schreibt, unterstützt er aktuell die UNESCO bis voraussichtlich zum Jahr 2030, in dem er 17 Global Goals / nachhaltigen Entwicklungszielen der UN und Weltgemeinschaft künstlerisch interpretiert und auch Vorort tätig wird (z. B. im Senegal).

Viele weitere Beispiele sind mit Sicherheit zu nennen und ihnen auch in ihrem Umfeld bekannt. Ich möchte hier auf den Verein afemdi e.V. aufmerksam machen, der aus dem rheinhessischen Gabsheim heraus vielfältige Projekte fördert, auch immer im Zusammenspiel mit Kunstschaffenden aus der Region (siehe Blogeintrag „Erdbeermund“). Im März waren es sogar  zwei Projekte – wobei ich nun auch ergänzend auf das Projekt mit der Alzeyer Schulklasse der St. Marien Schule verweisen möchte.

Gemeinsam mit ihrer Klassenlehrerin, einigen Eltern und anderen Helfern haben die Kinder der Klasse 4b mit ihrer Osteraktion auf dem Alzeyer Roßmarkt insgesamt 900 Euro eingesammelt, um Kindern aus Kamerun einen Schulranzen mit Inhalt finanzieren zu können. Im Vorfeld wurde intensiv das Thema „Kinderrechte“  im Unterricht behandelt. Sie haben gelernt, welche Rechte es gibt und dass in vielen Ländern Kinder grundlegende Dinge nicht genießen dürfen. Außerdem hat die Gründerin des Afemdi-Projekts, Elke Scheiner, die Klasse in der Schule besucht - und viel Bildmaterial über die Kinder aus Kamerun und das Projekt mitgebracht. So haben die Kinder im Zuge der Aktion auch etwas über das Leben im Kamerun erfahren. An diesem Beispiel wird wieder klar, die Beschäftigung mit der Welt beginnt bereits in jungen Jahren und zieht hoffentlich immer größere Kreise. 

 

Hier möchte ich auch insbesondere auf den Künstler Renzo Martens verweisen, der zu den umstrittensten Künstler der Gegenwart gehört. Aus Kunst machte er Entwicklungshilfe. Im Jahre 2008 schuf er den Dokumentarfilm Enjoy Poverty (Episode 3), den viele skandalös fanden. Darin zeigt er sich selbst, wie er durch den kongolesischen Dschungel zieht, begleitet von Lastenträgern, die schwere Alukisten schleppen. Statt Hilfsgütern enthalten sie Neonbuchstaben, die Martens in kargen Dörfern als Installation aufbaut. Enjoy Poverty leuchtet es über den Köpfen der tanzenden Menschen. Eine Inszenierung, die auf den ersten Blick, wie es Kolija Reichert auf Zeit online schreibt, menschenverachtend wirkt.

Doch die Zeitjournalistin lenkt in ihrem Artikel die Sicht auf das Wesentliche der Kunstaktion. Denn Martens spricht in seinem Film auch mit Nachrichtenfotografen, Rebellen, Entwicklungshelfern, und es stellt sich heraus, dass die Ressource, die den armen Bewohnern des Landes geblieben ist, ihre eigene Armut ist. Von dieser Situation leben aktuell viele westliche Fotografen gut, deshalb schlüpft Martens in die Rolle des Entwicklungshelfers und gibt lokalen Hochzeitsfotografen Nachhilfe im Fotografieren hungernder Nachbarn, um ihnen den Einstieg in den lukrativeren Bildermarkt westlicher Medien zu ermöglichen. Doch für ihre unscharfen Bilder gibt es schlicht keine Nachfrage; für Martens’ Bilder hingegen schon. So ist sein Film, nach den Worten von Reichert, auch eine Selbstanklage: Er zeigt das System der Ausbeutung durch Kameras am Beispiel seiner eigenen.

Zugleich hält der Künstler auch dem Publikum in seiner anschließenden Ausstellungsreihe den Spiegel vor. Denn Enjoy Poverty meint auch all die treuherzigen Ausstellungsbesucher, die nicht genug davon bekommen, auf Ausstellungen rund um die Welt das Elend der anderen kritisch zu beäugen. Genießt, ruft Martens ihnen zu, euer gutes schlechtes Gewissen!

Kann man dann noch politisch engagierte Kunst ansehen? Als hätten Fischer im Nigerdelta etwas davon, wenn wir ihnen in hoch aufgelösten Videobildern beim Kampf gegen Ölkonzerne zusehen, mit deren Öl wir anschließend nach Hause fahren, merkt Reichert an. Ich denke ja, am Anfang einer guten Veränderung steht eine unverblümte Transparenz. Ehrlich und ungeschönt – dadurch stark im Ausdruck. Die Entwicklung der menschlichen Errungenschaften darf dann natürlich nicht stehen bleiben, oder sogar „regredieren“. Der Soziologe Harald Welzer hat es auf einer Podiumsdiskussion in Berlin einmal auf den Punkt gebracht: der technische Fortschritt in den letzten 20 Jahren war atemberaubend, der Fortschritt in sozialen und gesellschaftlichen Fragen jedoch nicht. Warum eigentlich?

Parallel zu seinen Galerieausstellungen engagierte sich der Künstler in vielen konkreten Entwicklungsprojekten, wie z. B. auch über sein - im Jahre 2012 im Kongo auf dem Gelände einer ehemaligen Plantage gegründeten - Institut für menschliche Aktivitäten (IHA) .

Kolija Reichert weist in ihrem Artikel hier auch noch auf eine weitere interessante Parallele hin, denn aus dem Kongo kamen einst die Skulpturen des Bembe-Volks in die Museen in Europa und inspirierten Picasso und die Expressionisten – während zugleich die einheimischen Künstler in Missionarsschulen und auf Plantagen geschickt wurden. Bis 2009 gehörte die Plantage der Firma Unilever, heute einer der größten Sponsoren zeitgenössischer Kunst. Geduldet vom Nachfolger, dem Feronia-Konzern, eröffnete Martens auf dem Gelände ein "Gentrifizierungscamp", um den so oft beklagten Aufwertungsprozess durch Kunst dort anzustoßen, wo er gebraucht wird.

 


Kann Kunst gefällig sein - (oder darf sie es gerade nicht sein)?

Ein Standpunkt von

Uta Ella Marie Peter


Darf Kunst gefällig sein? Die Frage steht im Raum … ein weites Feld. Was ist denn eigentlich, wenn sie es nicht dürfte, aber dennoch wäre? Ist gefällige Kunst keine Kunst? Gibt es also "wahre" Kunst, die nicht gefällig sein darf und gefällige Kunst, die so tut als wäre sie Kunst, es aber eigentlich nicht ist … sogenannte ‚Fake-Kunst‘😉?

Soll die Antwort helfen "wahre Kunst" von der "Ware Kunst" zu unterscheiden? Denn das ist ja das eigentliche Problem: was ist Kunst oder anders gefragt: wer oder was bestimmt, was wann Kunst ist? Wann?... Ja, ganz wichtig, das Wann. Denn wenig ändert sich so sehr im Lauf der Zeit, wie die Bewertung von Kunst.

Aber nochmal zurück zur eigentlichen Frage: Darf Kunst gefällig sein? ‚Gefällig sein‘? Offensichtlich geht es darum, dass Kunst, besser gesagt ein Kunstwerk, gefallen soll, also mit dem Ziel des „Gefallen Sollens“ kreiert wird. Letztendlich lautet die Frage doch, darf ein Künstler  „gefällig“ arbeiten, ohne dass das Ergebnis automatisch zur Fake-Kunst degradiert wird. Seien wir ehrlich: ein Künstler, der von der Kunst leben muss, wird unweigerlich "gefallen müssen"… so einfach ist das.

Denn nur einigen Wenigen ist der Aufstieg in den Kunst-Olymp vergönnt, deren Mitgliedschaft bedeutet, dass jegliche Verrichtung per se zur Kunst erklärt wird 😊. Allen anderen bleibt nichts anderes übrig, als sich das tägliche Brot mit "Auftragskunst" im weitesten Sinn zu erarbeiten, sonst ist sie eben brotlos, die Kunst 😉. Und dennoch kann das Ergebnis von "Auftragskunst" "wahre" Kunst sein … so lehrt es zumindest die Kunstgeschichte. Viele Kunstwerke sind so entstanden und keiner bezweifelt deshalb ihren Stellenwert. Rubens – ein Meister der Vermarktung – nannte ganze Produktionswerkstätten sein Eigen, ohne dass man seinen Kunstwert in Frage stellt. Im Unterschied zum heutigen Kunstmarkt aber, standen Auftraggeber/Käufer und Künstler zumeist in direktem Kontakt, während heute Kunstmakler als Vermittler einen entscheidenden Einfluss ausüben. Der Kunstmarkt ist ein Markt, der dazu dient, allen Beteiligten und nicht zuletzt dem Makler durch ominöse Wertsteigerungen möglichst viel Geld in die Taschen zu spülen. Dass dies nicht der Maßstab für Kunst sein kann, steht außer Frage … der Preis bestimmt eben nicht die Qualität, schließt sie aber auch nicht aus! Den Rest entscheidet die Zeit … leider wenig hilfreich für den betroffenen Künstler.

 

Vielleicht noch eins zum Abschluss: Im Gefälligen möglichst authentisch bleiben - das kann hilfreich sein 😉

Utaellamarie Peter


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